Autismus-Tagesworkshop für Schülerinnen und Schüler der Heilerziehungespflege am 4.3.2021

Autismus-Tagesworkshop
der Alice-Salomon-Schule, Hannover
für Schülerinnen und Schüler der Heilerziehungespflege
der Ausbildungsbereiche Gesundheit und Soziales.

Donnerstag, 4.3.2021 von 8.00 Uhr bis 15.15 Uhr

08.00-09.30 Uhr
Autismus-spezifische medizinische Kenntnisse

Die Erkenntnisse der Autismus-Forschung beginnend 1940 veränderten sich gravierend wie bei kaum einem anderen Störungsbild. 1940-1970 galt Autismus als eine psychiatrische Störung verursacht durch die Lieblosigkeit der Mutter (Kühlschrankmutter), 1970-1990 nahm man eine ursächlich wirkende Degeneration der Hirnanatomie an, 1990-2010 kamen verschiedene einzeln stehende und medial stark in Szene gesetzte Theorien wie Impfstoffschaden, genetische Disposition und defizitäre Spiegelneuronen auf und seit 2010 erklärt die Neurologie Autismus weitgehend als Entwicklungsstörung aufgrund einer neuronalen Hyperreaktivität und Hyperkonnektivität. Die sich immer wieder verändernden Erklärungen für Autismus haben weitreichende Folgen für einen Handlungsansatz zur Begleitung und Intervention. In diesem Teil des Workshops wird auf diese Veränderung eingegangen und die Wirksamkeit der verschiedenen Ansätze beleuchtet.

09.50-11.20 Uhr
Wechselseitigkeit und Kommunikation von Menschen mit Autismus

Kontakt und Kommunikation sind zum einen die spezifischen Diagnosemerkmale von Autismus und zum anderen zeichnen sich Methoden, die auf Kontakt und Kommunikation aufbauen, derzeit als die hilfreichsten Interventionsmaßnahmen ab. Über den Vergleich der Diagnosekriterien von Autismus im ICD 10, wie sie derzeit gültig sind, und die neuen Diagnosekriterien des ICD 11, die 2022 in Deutschland eingeführt werden, wird die Bedeutung der Wechselseitigkeit, der Wahrnehmung und der Informationsverarbeitung bei Autismus verdeutlicht. Diese diagnosespezifischen Beeinträchtigungen stellen Fachkräfte in der Begleitung von Menschen mit Autismus vor ganz persönliche und subjektive Herausforderungen. Wenn Klienten nicht wechselseitig interagieren, sehr eindeutige und klare Kommunikation und Strukturen brauchen und durch soziale Anforderungen teilweise bereits überfordert werden, kommt man als Fachkraft an seine ganz eigenen persönlichen Grenzen. In diesem Teil des Workshops werden die Folgen einer beeinträchtigten Wechselseitigkeit mit dem Klienten für die Fachkraft aufgezeigt.

11.45-13.15 Uhr
Methodische Ansätze in der Begleitung und Intervention

Die methodischen Ansätze zur Begleitung und Intervention bei Autismus haben sich über die Jahrzehnte stark verändert. Von einem standardisierten Verhaltenstraining der 70er Jahre bis zur heutigen individuellen Intervention werden verschiedene Methoden mittels Video-Beispiele vorgestellt. Ihre Wirksamkeit und vor allem ihre Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention und dem neuen Bundesteilhabegesetz sollen kritisch hinterfragt werden und es soll erspürt werden, was die verschiedenen Methoden und Interventionen mit den Klienten aber auch mit den Fachkräften selbst “machen”. Dieser Teil des Workshops gibt einen Einblick in die Methodenvielfalt bei Autismus und zeigt den aktuellen Konflikt zwischen Autisten der Selbstvertretung und der organisierten Elternvertretung auf.

13.45-15.15 Uhr
Reizverarbeitung und Wahrnehmung von Menschen mit Autismus

Menschen mit Autismus beklagen weltweit und einhellig, dass die klinische Forschung nur die Auswirkungen von Autismus, aber nicht die Ursachen bzw. die ursächlich wirkenden Faktoren erforscht. Seit 2000 stellt die Empowerment-Bewegung der USA, England, Kanada und Australien die Forderung, Autismus nicht als Behinderung, sondern als eine andere Art des Seins zu begreifen. Zunehmend etabliert sich der Ansatz der Neurodiversität für Autismus und ADHS. Doch für Fachkräfte stellt die Unterscheidung in neuronal atypische und neuronal typische Menschen zunehmend eine Herausforderung dar. In Zeiten der Inklusion ist es angezeigt, der Innenansicht Betroffener Rechnung zu tragen. Dabei hebelt das Konzept der Neurodiversität die Handlungsansätze der Eingliederungshilfe und Rehabilitation aus, die eine Entwicklung und Entwicklungsziele immer an der “Norm” ausrichten. Im Abschlussteil des Workshops werden Videos und Materialien der Empowerment-Bewegung vorgestellt. Diese Materialien ermöglichen eine tiefe Innenansicht von Autismus und regen zur Abschluss-Diskussion an.

Referent: Wolfgang Wegener, Fachreferent für Autismus und ADHS
Pädagogische Leitung: Margarita Fischer, Alice-Salomon-Schule